Initiativen im Bereich psychische Erkrankungen

In diesem Artikel werden regionale Initiativen in Südniedersachsen im Bereich psychische Erkrankungen vorgestellt. An fast allen sind nicht nur Fachleute, sondern auch Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige beteiligt. Diese Form der Zusammenarbeit wird Trialog genannt.

Göttinger Psychiatrie-Forum

Seit 2001 findet einmal im Jahr im Herbst ein Psychiatrie-Forum in Göttingen mit mehreren Veranstaltungsabenden statt. Das Psychiatrie-Forum ist ein öffentliches Diskussionsangebot, das Psychiatrie und psychische Erkrankungen zum Thema macht.

Das Psychiatrie-Forum gibt Raum für einen gleichberechtigten Austausch subjektiver Erfahrungen zwischen Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Mitarbeitern psychiatrischer Institutionen. Dabei sollen den subjektiven Perspektiven Raum gegeben und Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige als „Experten in eigener Sache“ anerkannt werden. Das Forum möchte auf neue Art über Psychosen und andere psychische Erkrankungen sprechen und diese umfassend und eben nicht nur medizinisch verstehen.Jeder Veranstaltungsabend des Psychiatrie-Forums dauert anderthalb Stunden und hat ein vorher festgelegtes Thema. Die Themen des Forums richten sich an alle drei Gruppen und fordern zu einer trialogischen Diskussion auf.  

Nach einem kurzen Input als Anregung wird in möglichst gleichmäßig besetzten Tischgruppen (zwei Psychiatrie-Erfahrene, zwei Angehörige, zwei Fachkräfte) diskutiert, die Ergebnisse werden festgehalten und im Plenum vorgetragen.

Neben den Diskussionsabenden kann es auf dem Psychiatrie-Forum auch einen Fachvortrag, eine Podiumsdiskussion oder eine kulturelle Veranstaltung (z. B. Lesung, Kabarett, Kinofilm) geben.

Das Psychiatrie-Forum wird von der „Initiative Göttinger Psychose-Seminar“ veranstaltet, einer ehrenamtlich arbeitenden, institutionell nicht gebundenen Gruppe, die sich aus Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Mitarbeitern psychiatrischer Institutionen zusammensetzt.

Seit 2010 heißt die Gesprächsreihe „Psychiatrie-Forum“, denn es sollen sich auch Menschen mit nicht-psychotischen Erkrankungen, z. B. Depressionen, angesprochen fühlen. 1989 fand das bundesweit erste Psychose-Seminar in Hamburg statt; inzwischen gibt es solche Foren in vielen Städten in Deutschland.

Schulprojekt „Verrückt?! Na und?!“

Seit 2008 gibt es in Südniedersachsen ein Projekt zur seelischen Gesundheit, Prävention und Anti-Stigma-Arbeit in Schulen. Es heißt „Verrückt?! Na und?! – Es ist stark, über seelische Probleme zu reden!“

In diesem Projekt informieren sich Schüler über seelische Gesundheit. Sie beschäftigen sich damit, was jemanden aus dem seelischen Gleichgewicht bringt und lernen Menschen kennen, die psychische Krankheit erlebt haben. Die Schüler erfahren zudem, was sie für ihre eigene seelische Gesundheit tun können. Das Projekt dient dem Abbau von Ängsten und Vorurteilen gegenüber psychisch Erkrankten und soll für seelische Krisen sensibilisieren.

Das Projekt „Verrückt?! Na und?!“ richtet sich an Schüler der Jahrgangsstufen 9–13

und an junge Erwachsene in Bildungseinrichtungen, dauert einen ganzen Schultag und findet in der Schule statt. Es wird gleichberechtigt von Moderatoren aus Sozialpsychiatrie und Pädagogik sowie von Menschen mit eigenen Krisenerfahrungen durchgeführt und setzt auf ganzheitliches Lernen: Information, Austausch und Gruppenarbeit. Von besonderer Bedeutung ist der persönliche Kontakt der Schüler mit Menschen, die selbst seelische Krisen erfahren haben.

Das Grundkonzept des Projektes wurde vom Leipziger Verein „Irrsinnig menschlich e.V.“ entwickelt. Es gibt mittlerweile über 70 Schulprojektgruppen in ganz Deutschland.

Psychiatrie-Erfahrene als Experten: EX-IN-Genesungsbegleitung und Peer-Arbeit

Seit über zehn Jahren gibt es in Deutschland eine zertifizierte einjährige Ausbildung für Psychiatrie-Erfahrene mit dem Abschluss als „EX-IN-Genesungsbegleiter“. EX-IN steht für „Experienced Involvement“, die Einbeziehung psychisch erkrankter Menschen. Angestrebt wird, dass ausgebildete Genesungsbegleiter mit ihrem Erfahrungswissen in stationären oder ambulanten psychiatrischen Einrichtungen einer bezahlten Tätigkeit nachgehen. Die spezifischen Kenntnisse von psychiatrie-erfahrenen Menschen sollen das traditionelle professionelle Fachwissen ergänzen. Das Konzept beruht darauf, den eigenen Erfahrungsschatz aktiv für die Genesung („Recovery“) anderer Betroffener einzusetzen.

Die Ausbildung zur Genesungsbegleitung basiert auf der Reflexion und Weiterentwicklung eigener Krankheits- und Gesundungserfahrungen in einer Gruppe („Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen“) und vermittelt zudem theoretisches Fachwissen und methodische Ansätze.

EX-IN-Absolventen können nicht nur als Genesungsbegleiter, sondern auch als Dozenten in der Fachweiterbildung, der Öffentlichkeitsarbeit oder der psychiatrischen Forschung arbeiten.

EX-IN-Treff Göttingen

Bei diesem monatlich in Göttingen stattfindenden offenen Treff sind ausgebildete Genesungsbegleiter, Teilnehmer an der EX-IN-Ausbildung und Interessenten willkommen. Die Gruppe befasst sich genesungsorientiert mit der Bewältigung psychischer Erkrankungen, berät Interessenten zu den formalen Zugängen zur EX-IN-Ausbildung, informiert über das Programm der EX-IN-Kurse und fördert den EX-IN-Gedanken durch Öffentlichkeitsarbeit. Langfristig wird angestrebt, die Ausbildung von EX-IN-Genesungsbegleitern auch in Südniedersachsen anzubieten.

Treffpunkt Chamäleon

Der Treffpunkt Chamäleon (ehemals AG Peerarbeit) ist ein Treffpunkt für Psychiatrie-Erfahrene, aber auch für Angehörige und Mitarbeiter psychosozialer Einrichtungen, die sich für psychiatriepolitische Themen interessieren, z. B. für die Verbesserung der psychiatrischen Versorgungslandschaft. Sie sind vertreten im Sozialpsychiatrischen Verbund und bringen so die Erfahrungen Psychiatrie-Erfahrener mit ein.

Sozialpsychiatrische Verbünde (SPV)

Für die Landkreise Northeim und Göttingen gibt es jeweils einen Sozialpsychiatrischen Verbund (SPV). Er ist ein Zusammenschluss von Anbietern, die Leistungen für psychisch Erkrankte und Suchterkrankte erbringen sowie von Angehörigen- und Betroffenengruppen. In den zahlreichen Arbeitsgruppen des Verbundes wird zu Schwerpunktthemen der regionalen sozialpsychiatrischen Versorgung gearbeitet, z. B. zu Wohnformen, Tagesstruktur und Suchtthemen.

Die Vernetzung der Anbieter und die Öffentlichkeitsarbeit sind wichtige Aufgaben des SPV. Der Verbund stellt das Hilfsangebot für psychisch Erkrankte seines Landkreises regelmäßig in einem

„Sozialpsychiatrischen Plan“ vor. Die Geschäftsstelle des jeweiligen SPV ist bei den Sozialpsychiatrischen Diensten in Göttingen bzw. Northeim angesiedelt.

An den SPV können sich Psychiatrie-Erfahrene, Angehörige und Mitarbeiter psychiatrischer Einrichtungen wenden: z. B. bei Fragen und Anregungen zu Hilfeformen, Angeboten und Einrichtungen oder bei Interesse an einer Mitarbeit in den Gremien und Arbeitsgruppen des Verbundes. Der SPV nimmt auch Hinweise zu Problemen und Mängeln im Versorgungssystem auf.

Bündnis gegen Depression Südniedersachsen

Seit September 2019 gibt es in Südniedersachsen ein regionales Bündnis gegen Depression. Hier engagieren sich Institutionen und Kliniken, die Mitglieder der Sozialpsychiatrischen Verbünde, die Sozialpsychiatrischen Dienste sowie Selbsthilfegruppen, um gemeinsam Aufklärungsarbeit zu leisten.

Die Depression gehört zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Gemäß einer aktuellen Studie des Robert Koch-Instituts erkranken in Deutschland im Laufe eines Jahres 7,7 % der Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen Depression – das sind ca. 5 Millionen Bundesbürger. Depressionen stellen auch einen wesentlichen Risikofaktor für Suizide dar. Obwohl wirksame Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, erhalten nur etwa 10 % der betroffenen Patienten eine langfristig adäquate Behandlung.

Psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen, fällt vielen Menschen noch schwer. Häufig wird eine Depression nicht als Krankheit erkannt, sondern als persönliches Versagen oder

Schuld empfunden. Die Aufklärungsarbeit des Bündnis gegen Depression in Südniedersachsen soll diesen Blick auf die Krankheit ändern.

Das „Deutsche Bündnis gegen Depression e.V.“ entstand im Rahmen des „Kompetenznetzes Depression, Suizidalität“ und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Im Rahmen von regionalen Bündnissen gegen Depression wird versucht, durch gleichzeitige Intervention auf mehreren Ebenen die Versorgungssituation für depressiv erkrankte Menschen zu verbessern Arbeitsschwerpunkte sind Endstigmatisierung der Krankheit und der Erkrankten durch Aufklärung der Bevölkerung Fortbildung von Multiplikatoren (wie Polizisten, Lehrer, Seelsorger und andere) Ausbau von (Selbst-)hilfeangeboten Schulung der Hausärzte.